Auswertung von Mobiltelefonen – und ihre isolierte Anfechtung

Nach § 44a Satz 1 VwGO  können Rechtsbehelfe gegen behördliche Verfahrenshandlungen nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden.

Das in Art.19 Abs. 4 GG verankerte Prinzip der Gewährung effektiven Rechtsschutzes gebietet indessen eine einschränkende Auslegung der Vorschrift in den Fällen, in denen bei einer Abwägung zwischen dem von § 44a Satz 1 VwGO verfolgten Zweck der Gewährleistung eines effektiven Verwaltungsverfahrens und den Belangen des Betroffenen Letzteren eindeutig der Vorrang einzuräumen ist, insbesondere deshalb, weil die negativen Folgen für diesen besonders schwer wiegen.

So können etwa Verfahrenshandlungen, die in materielle Rechtspositionen des Betroffenen eingreifen und dadurch eine selbstständige, im Verhältnis zur abschließenden Sachentscheidung andersartige Beschwer enthalten, selbstständig angefochten werden1

So liegt der Fall hier, da die angegriffene Anordnung der Auswertung ihres Mobiltelefons in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Asylbewerberin eingreift und damit eine andere Rechtsposition als die Sachentscheidung über ihren Asylantrag betrifft.

Damit muss nicht abschließend entschieden werden, ob die angegriffene Anordnung dadurch im Sinne des § 44a Satz 2 VwGO vollstreckt werden könnte, dass das Bundesamt auf der Grundlage des § 15a Abs. 1 Satz 2 AsylG i. V. m. § 48a Abs. 1 AufenthG ein Auskunftsverlangen an einen Telekommunikationsdienstleister richtet.

Soweit die Klage sich gegen die Anordnung richtet, die Zugangsdaten des Mobiltelefons zur Verfügung zu stellen, ist sie als Fortsetzungsfeststellungsklage in entsprechender Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zulässig. Die Anordnung hat sich jedenfalls mit der Rückgabe des Mobiltelefons an die Klägerin erledigt (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Der Klägerin steht das nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO erforderliche berechtigte Interesse an der von ihr begehrten Feststellung zur Seite.

Ein solches Interesse kann rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Natur sein und sich insbesondere aus den Gesichtspunkten der konkreten Wiederholungsgefahr, der Rehabilitierung, der schwerwiegenden Grundrechtsbeeinträchtigung sowie der Präjudizwirkung für einen beabsichtigten Schadensersatzanspruch ergeben. Die gerichtliche Feststellung muss geeignet sein, die betroffene Position des Rechtsschutzsuchenden zu verbessern2.

Bei Grundrechtseingriffen ist im Hinblick auf Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse zu bejahen, wenn andernfalls kein wirksamer Rechtsschutz gegen solche Eingriffe zu erlangen wäre. Davon ist bei Maßnahmen auszugehen, die sich typischerweise so kurzfristig erledigen, dass sie ohne die Annahme eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses regelmäßig keiner Überprüfung im gerichtlichen Hauptsacheverfahren zugeführt werden könnten. Maßgebend ist dabei, ob die kurzfristige, eine Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage ausschließende Erledigung sich aus der Eigenart des Verwaltungsakts selbst ergibt3.

Bei der angegriffenen Anordnung handelt es sich um einen derartigen Verwaltungsakt. Er erledigt sich typischerweise – und so auch hier – spätestens mit der Rückgabe des Mobiltelefons an den Antragsteller (§ 43 Abs. 2 VwVfG). Hiergegen kann wirksamer Rechtsschutz in Form der Anfechtungsklage nicht erlangt werden.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist auch rechtzeitig erhoben worden. Ist die Widerspruchsfrist (§ 70 VwGO) oder die Klagefrist (§ 74 VwGO) bei Eintritt des erledigenden Ereignisses vor einer Klageerhebung – wie hier – noch nicht abgelaufen, der Verwaltungsakt also noch nicht bestandskräftig, so ist die auf Feststellung seiner Rechtswidrigkeit gerichtete Klage weder an die Monatsfrist des § 74 VwGO noch (in analoger Anwendung) an die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO gebunden4.

Entgegen der Auffassung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) folgt aus Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU keine sechsmonatige Frist für die Erhebung der Klage. Dem steht bereits entgegen, dass die Vorschriften dieser Richtlinie keine unmittelbare Regelungswirkung zulasten der Klägerin entfalten (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV). Im Übrigen betrifft Art. 31 RL 2013/32/EU nicht das gerichtliche, sondern das behördliche Verfahren zur Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz. Den Vorschriften über Rechtsbehelfe in Art. 46 ff. RL 2013/32/EU lässt sich kein Hinweis auf eine unionsrechtlich vorgegebene – lediglich – sechsmonatige Klagefrist entnehmen. Vielmehr bleibt es nach Art. 46 Abs. 4 RL 2013/32/EU den Mitgliedstaaten überlassen, angemessene Fristen und sonstige Vorschriften festzulegen, die erforderlich sind, damit der Antragsteller sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf wahrnehmen kann, wobei die Fristen die Wahrnehmung dieses Rechts weder unmöglich machen noch übermäßig erschweren dürfen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 16. Februar 2023 – 1 C 19.21

  1. BVerwG, Urteil vom 24.11.2011 – 7 C 12.10 – Buchholz 406.391 § 4 KultgschG Nr. 1 Rn. 32
  2. BVerwG, Urteile vom 16.05.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn.20; und vom 17.11.2016 – 2 C 27.15 – BVerwGE 156, 272 Rn. 13 m. w. N.
  3. BVerwG, Urteil vom 16.05.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 32 unter Hinweis auf BVerfG, Beschlüsse vom 05.12.2001 – 2 BvR 527/99 u. a., BVerfGE 104, 220 <232 f.> und vom 03.03.2004 – 1 BvR 461/03, BVerfGE 110, 77 <86> m. w. N
  4. stRspr, vgl. nur BVerwG, Urteil vom 14.07.1999 – 6 C 7.98 – BVerwGE 109, 203 <207 f.>