Abschiebungshaft, das abgelehnte Aufnahmeersuchen – und die Vier-Wochen-Frist
Nach § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG endet die Abschiebungshaft im Regelfall mit der Zustellung der Entscheidung des Bundesamtes, spätestens jedoch vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Ein Auf- oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat unterbricht diese Vier-Wochen-Frist des § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG mit der Folge, dass sie im Falle der Ablehnung des Ersuchens erneut zu laufen beginnt.
Sicherungshaft darf grundsätzlich nicht angeordnet oder aufrechterhalten werden, wenn der Ausländer bei oder nach seiner Einreise erstmals um Asyl nachsucht, weil ihm dann der Aufenthalt im Bundesgebiet zur Durchführung des Asylverfahrens gestattet ist (§ 55 Abs. 1 Satz 1 und 3 AsylG). Etwas anderes gilt jedoch nach § 14 Abs. 3 Satz 1 AsylG, wenn der Asylantrag aus der Haft heraus gestellt wird. Die Aufenthaltsgestattung steht dann der Aufrechterhaltung der Haft während der Prüfung des Asylantrags grundsätzlich nicht entgegen. Mit dieser Regelung möchte der Gesetzgeber verhindern, dass Betroffene nach Anordnung von Haft zur Sicherung ihrer Abschiebung aus rein taktischen Erwägungen und damit rechtsmissbräuchlich einen Asylantrag stellen, so die sachlich nicht gerechtfertigte Aufhebung der Haft erreichen und sich dann dem Zugriff der Behörden entziehen. Er hat sich daher entschlossen, die Gestattungswirkung eines aus der (Abschiebungs)Haft gestellten Asylantrags generell hinauszuschieben und in den in § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2 AsylG genannten Fallgruppen gar nicht eintreten zu lassen1.
Die Haft endet grundsätzlich mit Zustellung des Bescheids, wenn das Bundesamt den Asylantrag als „einfach“ unzulässig oder unbegründet ablehnt oder ihm zumindest teilweise stattgibt. Sie endet unabhängig davon spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 1 AsylG). Denn der Umstand, dass die Bearbeitung des Asylantrags längere Zeit in Anspruch nimmt, soll dem Betroffenen nicht angelastet werden2. Eine (Rück-)Ausnahme gilt, wenn ein Auf- oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet wurde (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 1. Alt. AsylG) oder der Asylantrag als unzulässig nach § 29 Absatz 1 Nummer 4 AsylG oder als offensichtlich unbegründet abgelehnt wird (§ 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 2. Alt. AsylG). Dann kann die Haft über den Vier-Wochen-Zeitraum hinaus fortgesetzt werden.
Vorliegend wurde die Vier-Wochen-Frist durch das Übernahmeersuchen an Frankreich vom 10.11.2021 unterbrochen. Der Betroffene hat während der Haft am 19.10.2021 einen Asylantrag gestellt. Die dadurch ausgelöste Vier-Wochen-Frist begann mit dem Eingang des Antrags beim Bundesamt. Das Landgericht Landshut hat in der Vorinstanz3 den Zeitpunkt des Eingangs nicht festgestellt. Selbst wenn der Antrag noch am gleichen Tag einging, endete die reguläre Frist jedenfalls frühestens mit Ablauf des 16.11.2021. Das zwischenzeitlich gestellte Übernahmeersuchen unterbrach die Frist mit der Folge, dass sie nach dem Eingang der ablehnenden Entscheidung der französischen Behörden am 24.11.2021 erneut zu laufen begann. Sie war damit am 15.12., als der Betroffene abgeschoben wurde, noch nicht abgelaufen.
Es ist nicht ausdrücklich geregelt, wann die Vier-Wochen-Frist endet, wenn der ersuchte Staat seine Zuständigkeit ablehnt. Hierzu werden in der Literatur verschiedene Auffassungen vertreten. Teilweise wird angenommen, die Haft ende bereits unmittelbar mit der Abweisung des Aufnahme- oder Wiederaufnahmeersuchens4. Nach anderer Ansicht soll die Vier-Wochen-Frist nach der ablehnenden Entscheidung neu zu laufen beginnen5. Das wird damit begründet, dass erst mit der ablehnenden Antwort auf das Ersuchen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig werde.
Die zuletzt genannte Auffassung ist zutreffend. Zwar ist der Wortlaut der Bestimmung des § 14 Abs. 3 Satz 3 AsylG, wonach die Abschiebungshaft spätestens vier Wochen nach Eingang des Asylantrags beim Bundesamt endet, „es sei denn“ es wurde ein Auf- oder Wiederaufnahmeersuchen an einen anderen Staat gerichtet, nicht eindeutig; aus der Systematik, der Gesetzeshistorie und dem Sinn und Zweck der Vorschrift lässt sich jedoch ableiten, dass die Frist durch das Übernahmeersuchen unterbrochen wird und nach der Ablehnung des Ersuchens neu zu laufen beginnt.
Die Ausnahmebestimmung des § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 1. Alt. AsylG wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 eingeführt. Der Gesetzgeber wollte damit sicherstellen, dass Ausländer, die nach der (damaligen) Verordnung (EG) Nr. 343/2003 (Dublin II) kurzfristig in den für das Asylverfahren zuständigen Staat verbracht werden sollen, nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden und untertauchen6. Im Unterschied zur Systematik bei Entscheidungen als unbeachtlich oder offensichtlich unbegründet kann die Aufrechterhaltung der Haft bei diesen Fällen nicht an die Entscheidung des Bundesamts über die Unzulässigkeit des Asylantrags wegen Unzuständigkeit geknüpft werden; denn diese Entscheidung kann erst dann getroffen werden, wenn der ersuchte Staat seine Zuständigkeit anerkannt hat. Der Gesetzgeber hat es deshalb für notwendig befunden, eine Verlängerung der Haft über die in der Norm genannten vier Wochen hinaus bereits durch die Einleitung des Dublin-Verfahrens zu ermöglichen7. Das bedeutet, dass die Vier-Wochen-Frist während des anhängigen Übernahmeersuchens nicht laufen soll, um die ordnungsgemäße Durchführung des Dublin-Verfahrens zu ermöglichen. Wird dem Ersuchen entsprochen, ist der Betroffene im Anschluss zu überstellen. Wird ihm nicht entsprochen, schließt sich die Prüfung des Asylantrags durch das dann (sachlich) zuständige Bundesamt an. Hierfür gilt wiederum die Vier-Wochen-Frist, die der Gesetzgeber für erforderlich und ausreichend erachtet, um einerseits eine sorgfältige Prüfung zu ermöglichen und andererseits Verzögerungen im Interesse des inhaftierten Betroffenen zu vermeiden.
Die Unterbrechung der Frist und ihr Neubeginn im Falle der Ablehnung des Übernahmeersuchens stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen aus Art. 2 und Art. 104 GG dar. Die Freiheit der Person darf nur aus wichtigen Gründen entzogen werden8. Das Beschleunigungsgebot bei Freiheitsentziehungen verlangt, dass die Abschiebungshaft auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken ist9. Das Übernahmeersuchen ist im Falle der Inhaftierung gemäß Art. 28 Abs. 3 der Dublin-III-Verordnung an enge Fristen gebunden, um die Haft so kurz wie möglich zu halten. Auch die Vier-Wochen-Frist trägt dem Beschleunigungsinteresse des Betroffenen Rechnung und stellt sicher, dass ihm Verzögerungen der Bearbeitung des Asylantrags nicht angelastet werden. Unabhängig davon gelten für die Anordnung und Aufrechterhaltung der Haft die Voraussetzungen des § 62 AufenthG10 und des § 420 FamFG, die dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den besonderen Verfahrensgarantien nach Art. 104 Abs. 1 bis 4 GG Rechnung tragen.
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde steht der Unterbrechung der Frist auch nicht entgegen, dass das Asylverfahren zunächst in nationaler Zuständigkeit geführt wurde und sich Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedsstaats nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung erst während der Haft bei der Anhörung vom 03.11.2021 ergaben. Zweck der Ausnahmebestimmung des § 14 Abs. 3 Satz 3 Halbsatz 2, 1. Alt. AsylG ist es, dass Ausländer, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens in den für das Asylverfahren zuständigen Staat verbracht werden sollen, nicht vorzeitig aus der Haft entlassen werden und untertauchen. Denn die Entscheidung über den Asylantrag kann nicht getroffen werden, bevor der ersuchte Staat seine Zuständigkeit anerkannt oder abgelehnt hat. Es ist aufgrund dessen notwendig, dass eine Verlängerung der Haft über die sonst vorgeschriebenen vier Wochen hinaus ermöglicht wird11. Diesem Zweck steht es nicht entgegen, wenn die Haft zunächst zur Sicherung der Abschiebung angeordnet wird und sich erst während der Haft – vor Ablauf der Vier-Wochen-Frist – Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats und die Möglichkeit einer Überstellung ergeben.
Es kommt auch nicht darauf an, ob das Bundesamt – wie hier von der beteiligten Behörde im Haftverlängerungsantrag vom 10.11.2021 ausgeführt – mit hoher Wahrscheinlichkeit von der Ablehnung des Ersuchens ausgeht.
Von Fällen evidenter Rechtsverletzung abgesehen, haben die Haftgerichte nicht zu prüfen, ob eine Aufnahme- oder Wiederaufnahmeverpflichtung des Zielstaates unter Einhaltung der Regelungen der Dublin-III-Verordnung entstanden ist und ob die Ausländerbehörde die Überstellung zu Recht betreibt. Mit der Prüfung dieser Fragen würde der Haftrichter in unzulässiger Weise in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit übergreifen12.
Von einer evidenten Rechtsverletzung war vorliegend nicht auszugehen. Das Ersuchen darf nicht offensichtlich vorgeschoben sein, um dem Bundesamt eine längere Bearbeitung des Asylgesuchs während der Haftzeit zu ermöglichen. Das in Freiheitsentziehungssachen zu beachtende Beschleunigungsgebot gilt auch für das Auf- und Wiederaufnahmeverfahren nach der Dublin III-Verordnung13. Es erfordert, dass der Betroffene unverzüglich nach seinem Einreiseversuch befragt wird und dass die für die Zurückweisung erforderlichen Maßnahmen unverzüglich in die Wege geleitet werden14. Zudem ist erforderlich, dass das Aufnahmeersuchen korrekt gestellt wird15.
Das Landgericht Landshut hat zu Recht angenommen, dass diesen Anforderungen genügt wurde. Nach den Feststellungen des Landgerichts Landshut hat der Betroffene bei seiner asylrechtlichen Anhörung am 3.11.2021 selbst angegeben, für etwa ein Jahr in Nizza (Frankreich) gelebt zu haben. Danach war – die Richtigkeit der Einlassung des Betroffenen unterstellt – eine Zuständigkeit Frankreichs nach Art. 7 Abs. 1, Art. 13 Abs. 2 Dublin-III-VO gegeben. Das entsprechende Ersuchen erfolgte innerhalb der in Art. 21 Abs. 1 Dublin-III-VO vorgesehenen Frist. Von dem Ersuchen war nicht allein deshalb abzusehen, weil nach den Erfahrungen des Bundesamts – ungeachtet einer Aufnahmeverpflichtung Frankreichs – wahrscheinlich mit seiner Ablehnung zu rechnen war.
Ohne Erfolg blieb vor dem Bundesgerichtshof auch die Argumentation, das Wiederaufnahmeersuchen habe deshalb nicht zu einer Unterbrechung und einem Neubeginn der Vier-Wochen-Frist führen können, weil nicht festgestellt sei, dass es dem Betroffenen vor Ablauf der (ursprünglichen) Frist förmlich mitgeteilt worden ist. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum wird vereinzelt die Auffassung vertreten, es bedürfe einer solchen förmlichen Mitteilung, damit sich der Betroffene darauf einstellen kann, ob die Abschiebungshaft nach Ablauf der vier Wochen endet oder fortdauern wird16. Es kann offen bleiben, ob dieser Auffassung beizutreten ist. Im Haftverlängerungsantrag der beteiligten Behörde, der dem Betroffenen zugeleitet und übersetzt wurde, wird ausgeführt, dass das Bundesamt am 9.11.2021 telefonisch mitgeteilt hat, der Asylantrag werde als offensichtlich unbegründet abgelehnt, die Bescheidung sei aber derzeit gehemmt, weil ein Aufnahmeverfahren nach der Dublin-III-VO eingeleitet worden sei. Frankreich werde mit hoher Wahrscheinlichkeit die Übernahme ablehnen, sodass dieses Verfahren höchstens zwei Wochen in Anspruch nehmen werde. Diese Angaben waren ausreichend, um dem Betroffenen vor Augen zu führen, dass die Haft nicht innerhalb der Vier-Wochen-Frist – gerechnet ab Eingang des Asylantrags vom 19.10.2021 – enden wird. Es kommt bei dieser Sachlage nicht darauf an, ob ihm das Wiederaufnahmegesuch zugänglich gemacht wurde.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 26. September 2023 – XIII ZB 65/21
- BGH, Beschluss vom 06.10.2020 – XIII ZB 115/19, InfAuslR 2021, 119 Rn. 14, 15 mwN↩
- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung straf, ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 18.06.1996, BT-Drs. 13/4948 S. 11↩
- LG Landshut, Beschluss vom 10.12.2021 – 64 T 3334/21↩
- Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl., § 14 AsylG Rn. 13↩
- vgl. Winkelmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl, § 14 AsylG Rn. 30; Houben in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 37. Ed.01.01.2023, § 14 AsylG Rn. 18c↩
- vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 23.04.2017, BT-Drs. 16/5065, 215; Winkelmann/Broscheit in Bergmann/Dienelt, 14. Aufl.2022, AsylG § 14 AsylG Rn. 30↩
- BT-Drs. 16/5065, 215↩
- vgl. BVerfG, Beschluss vom 04.10.2010 – 2 BvR 1825/08, BVerfGK 18, 125 20 mwN]↩
- vgl. BGH, Beschluss vom 24.06.2020 – XIII ZB 9/19 12 mwN↩
- Winkelmann/Broscheit in Bergmann/Dienelt, aaO, § 14 Rn. 32; Houben in BeckOK AuslR, aaO, § 14 Rn. 15c↩
- vgl. BT-Drs. 16/5065, 215↩
- st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom 25.09.1980 – VII ZB 5/80, BGHZ 78, 145, 147; vom 21.08.2019 – V ZB 174/17 8 mwN; vom 07.04.2020 – XIII ZB 53/19, InfAuslR 2020, 283 Rn. 12↩
- vgl. BGH, Beschlüsse vom 07.04.2011 – V ZB 111/10, NVwZ 2011, 1214 Rn. 13; vom 30.06.2011 – V ZB 274/10, FGPrax 2011, 315 Rn. 25 zur Dublin-II-Verordnung↩
- BGH, FGPrax 2011, 315 Rn. 24↩
- BGH, FGPrax 2011, 315 Rn. 25↩
- vgl. Houben in BeckOK AuslR, aaO, § 14 Rn. 18c↩