Abschiebungshaft – und die Zweifel an der Volljährigkeit

Zweifel an der Volljährigkeit eines Betroffenen, denen das Gericht gemäß § 26 FamFG nachzugehen hat, können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist.

Bei minderjährigen Ausländern kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Anordnung von Sicherungshaft wegen der Schwere des Eingriffs besondere Bedeutung zu. Sie darf nach § 62 Abs. 1 Satz 3 AufenthG gegen Minderjährige nur in besonderen Ausnahmefällen, nur unter Beachtung der in § 62a AufenthG und nur so lange vorgeschriebenen besonderen Bedingungen angeordnet werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Minderjährige müssen so weit wie möglich in Einrichtungen untergebracht werden, die personell und materiell zur Berücksichtigung ihrer altersgemäßen Bedürfnisse in der Lage sind.

Bestehen Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen, hat das Gericht gemäß § 26 FamFG den Sachverhalt aufzuklären.

Solche Zweifel werden allerdings nicht bereits dadurch begründet, dass der Betroffene angibt, minderjährig zu sein; ist diese Behauptung schon aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes des Betroffenen offenkundig falsch was von dem Haftrichter nachvollziehbar darzulegen ist , sind weitere Ermittlungen zum Alter des Betroffenen nicht erforderlich. Liegt eine Volljährigkeit des Betroffenen hingegen nicht klar zutage, sind weitere Aufklärungen erforderlich, wobei hohe Anforderungen an die Ausfüllung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu stellen sind. Eine Einschätzung des Haftrichters, der Betroffene sei volljährig, reicht in der Regel – selbst wenn sie auf ein großes Erfahrungswissen gestützt ist – nicht aus, um ein sicheres Bild zu gewinnen. Vielmehr sind die nach § 49 Abs. 3 i.V.m. Abs. 6 AufenthG vorgesehenen Maßnahmen zu ergreifen. Im Zweifel ist zugunsten des Betroffenen von einer Minderjährigkeit auszugehen.

Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen können sich auch aus der Anordnung einer Vormundschaft für ihn ergeben. Eine solche Anordnung schließt es aber nicht aus, dass der Haftrichter aufgrund der gebotenen sorgfältigen amtswegigen Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, dass der Betroffene nach dem ausländer- und sicherungshaftrechtlich maßgeblichen deutschen Recht volljährig ist. Das gilt insbesondere dann, wenn die Familiengerichte – wie hier – aufgrund der dargestellten Zweifelsregel eine vorläufige Vormundschaft angeordnet haben.

Im vorliegenden sind sowohl der Haftrichter als auch das Beschwerdegericht diesen Anforderungen gerecht geworden: Sie sind der Frage einer altersgerechten Unterbringung des Betroffenen nachgegangen und haben ihre Würdigung, der Betroffene habe das 18. Lebensjahr vollendet, auf das Gutachten des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gestützt. Insbesondere das Beschwerdegericht hat sich auch mit den Erwägungen auseinandergesetzt, auf die das Familiengericht seine gegenteilige Einschätzung gestützt hatte. Es hat eingehend begründet, weshalb den Darlegungen in den wissenschaftlichen Gutachten demgegenüber der Vorzug zu geben ist, und dabei berücksichtigt, dass der Betroffene bei der Prüfung seines in der Schweiz gestellten, später aber zurückgenommenen Asylantrags im November 2016 mit dem Ziel, Minderjährigkeit vorzuspiegeln, als Geburtsdatum zunächst den 1.01.2000, sodann aber korrigierend den 1.01.1998 angegeben hatte. Von diesem Geburtsdatum gehen auch die Behörden des Heimatstaates des Betroffenen aus.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10. August 2018 – V ZB 123/18