Anordnung von Zurückweisungshaft – und der Haftgrund

Der Gesetzgeber hat mit § 15 Abs. 5 AufenthG für die Anordnung von Zurückweisungshaft ein abschließendes Sonderregime geschaffen. Von über die Voraussetzungen in § 15 Abs. 5 AufenthG hinausgehenden Voraussetzungen ist die Anordnung von Zurückweisungshaft auch mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht abhängig zu machen.

Die Anordnung von Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG setzt auch nicht den begründeten Verdacht voraus, der zurückgewiesene Ausländer werde ohne die Anordnung von Haft unerlaubt in das Bundesgebiet einreisen.

Dieser Verdacht ist allerdings nach nahezu einhelliger Auffassung im Schrifttum neben einer Einreiseverweigerung, die nicht unmittelbar vollzogen werden kann (vgl. § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG), zusätzliche Voraussetzung für die Anordnung von Zurückweisungshaft. Teilweise wird darüber hinaus noch verlangt, dass die zu befürchtende unerlaubte Einreise des zurückgewiesenen Ausländers die Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, was wiederum nur soll angenommen werden können, wenn infolge der unerlaubten Einreise des zurückgewiesenen Ausländers mit einer illegalen und unkontrollierten Einreise zu rechnen sei. Begründet werden diese zusätzlichen Erfordernisse mit der Erwägung, die in § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG getroffene Regelung sei ohne ein den Haftgründen der Abschiebungshaft entsprechendes einschränkendes Kriterium unverhältnismäßig. Es liege eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke vor, die durch analoge Anwendung des Haftgrunds der Fluchtgefahr (§ 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 AufenthG) bzw. eines diesem Haftgrund vergleichbaren Sachverhalts zu schließen sei. Ob dem zu folgen ist, hat der Bundesgerichtshof bisher offengelassen.

Er verneint die Frage nunmehr. Der Gesetzgeber hat mit § 15 Abs. 1 AufenthG für die Anordnung von Zurückweisungshaft ein abschließendes Sonderregime geschaffen. Von über die Voraussetzungen in § 15 Abs. 5 AufenthG hinausgehenden Voraussetzungen ist die Anordnung von Zurückweisungshaft auch mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht abhängig zu machen.

Der Gesetzgeber hat sich mit dem Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.08.2007 entschlossen, die Voraussetzungen für die Anordnung von Zurückweisungshaft eigenständig zu regeln. Während § 15 Abs. 4 AufenthG aF bis zum Inkrafttreten dieses Gesetzes die Voraussetzungen für die Zurückweisungshaft unter uneingeschränkter Verweisung auf die Voraussetzungen für die Abschiebungshaft in § 62 AufenthG regelte, sind sie seitdem in § 15 Abs. 5 AufenthG eigenständig und in den wesentlichen Punkten abweichend von den Voraussetzungen für die Abschiebungshaft geregelt. Die Zurückweisungshaft setzt im Unterschied zur Abschiebungshaft weder einen Haftgrund noch das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft voraus. Im Unterschied zur Abschiebungshaft wird die Notwendigkeit der Zurückweisungshaft, wie sich aus der Ausgestaltung von § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergibt, gesetzlich vermutet. Das schließt nicht nur die geforderte entsprechende Anwendung der für die Anordnung von Abschiebungs- oder Zurückschiebungshaft nach § 57 Abs. 3 und § 62 Abs. 3 AufenthG und von Rücküberstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung erforderlichen Haftgründe, sondern auch deren Substitution durch solchen Haftgründen funktionell entsprechende zusätzliche Voraussetzungen und insbesondere durch den begründeten Verdacht der unerlaubten Einreise, aus. Solche zusätzlichen Voraussetzungen hat der Gesetzgeber bewusst nicht vorgesehen, weil er sie in der Situation, in der Zurückweisungshaft nach § 15 Abs. 5 AufenthG angeordnet werden soll, nicht für nötig hielt.

Die Forderung nach dem begründeten Verdacht der unerlaubten Einreise oder einem anderen, die Regelung in § 15 Abs. 5 AufenthG über den Wortlaut hinaus einschränkenden Kriterium lässt sich nicht mit einer verfassungskonformen Auslegung der Vorschrift begründen.

Auch die Vorschriften über die Anordnung von Zurückweisungshaft und ihre Anwendung sind allerdings an dem im Rechtsstaatsprinzip des Art.20 Abs. 2 GG wurzelnden Verhältnismäßigkeitsprinzip zu messen. Die von dem Gesetzgeber in § 15 Abs. 5 AufenthG getroffene Regelung widerspricht diesem Prinzip indessen nicht.

Nach § 15 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ist Zurückweisungshaft zwar regelmäßig anzuordnen, wie sich aus der Ausgestaltung als “Soll”-Vorschrift ergibt. Das gilt aber nur, wenn die Einreiseverweigerung oder Zurückweisung nicht unmittelbar vollzogen werden kann. In dieser Sondersituation kann allerdings das mit Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 4 Schengener Grenzkodex (SGK) europarechtlich zwingend vorgegebene Ziel der Vorschrift, die unerlaubte Einreise eines Ausländers ohne Aufenthaltstitel zu verhindern, in aller Regel nicht anders erreicht werden. Der Ausländer befindet sich nämlich tatsächlich schon im Bundesgebiet. Seine unerlaubte Einreise ist nach § 13 Abs. 3 Satz 2 AufenthG rechtlich nur deswegen noch nicht erfolgt, weil die Grenzübergangsstelle ihn nur zu einem bestimmten vorübergehenden Zweck, nämlich zur Organisation des Vollzugs der erteilten Zurückweisung, hat passieren lassen und weil sie den Aufenthalt des Ausländers aufgrund seiner vorläufigen Festnahme kontrollieren kann. Gibt sie diese Kontrolle auf, ist die zu verhindernde unerlaubte Einreise rechtlich erfolgt. Da es an den deutschen Landgrenzen dem Transitbereich von Flughäfen vergleichbare Möglichkeiten des vorübergehenden Aufenthalts von Ausländern, die nicht in das Bundesgebiet einreisen dürfen, unter der Kontrolle der Grenzübergangsstelle nicht gibt, kann die unerlaubte Einreise dort normalerweise nur durch die Anordnung von Zurückweisungshaft verhindert werden.

Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip würde es zwar widersprechen, einen Ausländer auch dann in Zurückweisungshaft zu nehmen, wenn der Grenzübergangsstelle die Kontrolle seines Aufenthalts ausnahmsweise auch ohne Haftanordnung weiterhin möglich bleibt (vgl. § 13 Abs. 2 Satz 2 AufenthG). Das hat der Gesetzgeber in der Ausgestaltung der Vorschrift als “Soll”-Vorschrift aber auch berücksichtigt. Sie enthält nämlich eine Verpflichtung mit Abweichungsvorbehalt, von dem in einem solchen Ausnahmefall auch Gebrauch zu machen wäre. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom 12. April 2018 – V ZB 162/17