Subsidiäre Schutzberechtigung – und der Kindernachzug

Die zum Kindernachzug nach § 32 AufenthG entwickelten Grundsätze zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bei einer gesetzlichen Altersgrenze1 gelten auch für den Nachzug zum subsidiär schutzberechtigten Elternteil nach § 36a AufenthG. Der Ausschluss des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten nach § 104 Abs. 13 AufenthG 2016 ist nicht verfassungswidrig, weil Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann2. Die Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 32 und § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Sie ist insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar.

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – wie der vorliegenden – grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz. Rechtsänderungen, die danach eintreten, sind vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Tatsachengericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte3. Der Entscheidung sind daher zum einen das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet4 vom 30.07.20045 in der Fassung der Bekanntmachung vom 25.02.20086, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 09.07.2021 zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters7, sowie das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.09.20088, zuletzt geändert durch das Gesetz vom 23.05.2022, zugrunde zu legen. Unionsrechtlich maßgeblich sind die Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22.09.2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung9 und die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes10.

Aus Gründen des materiellen Rechts gilt für den Fall, dass ein Anspruch an eine gesetzliche Altersgrenze knüpft, eine Ausnahme von den allgemeinen Grundsätzen. Setzt der Anspruch die Minderjährigkeit des Antragstellers voraus, so muss diese zum Zeitpunkt der Antragstellung vorliegen. Die übrigen Voraussetzungen für den Kindernachzug müssen spätestens auch im Zeitpunkt des Erreichens der Altersgrenze und zudem der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz gegeben sein, sodass alle Voraussetzungen wenigstens einmal zeitgleich erfüllt sein müssen. Nach diesem Zeitpunkt eingetretene Sachverhaltsänderungen zugunsten des Betroffenen können nicht berücksichtigt werden. Bei Anspruchsgrundlagen, die eine Altersgrenze enthalten, die der Betroffene im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Verhandlung oder Entscheidung überschritten hat, ist mithin eine auf zwei unterschiedliche Zeitpunkte bezogene Doppelprüfung erforderlich11. Maßgeblich ist danach auch § 104 Abs. 13 AufenthG in der Fassung des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.201612. Diese zum Kindernachzug nach § 32 AufenthG entwickelten Grundsätze gelten auch für den Kindernachzug zum subsidiär schutzberechtigten Elternteil nach § 36a AufenthG.

Durch § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Buchst. c AufenthG i. V. m. mit § 25 Abs. 2 AufenthG in der Fassung von Art. 2 Nr. 2 Buchst. b des Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2011/95/EU vom 28.08.201313 wurde erstmals ein Anspruch auf Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten eingeführt. Mit dem Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vom 27.07.201514 wurde der Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten mit dem Nachzug zu Flüchtlingen gleichgestellt, weil auch bei subsidiär Schutzberechtigten und ihren Angehörigen eine Herstellung der Familieneinheit im Herkunftsstaat nicht möglich ist15. Gemäß dem am 17.03.2016 in Kraft getretenen § 104 Abs. 13 Satz 1 AufenthG a. F. wurde dann ein Familiennachzug zu Personen, denen nach dem 17.03.2016 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG (als subsidiär Schutzberechtigten) erteilt worden ist, bis zum 16.03.2018 nicht gewährt. Der Ausschluss wurde durch Art. 1 des Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten vom 16.03.201816 bis zum 31.07.2018 verlängert. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Außervollzugsetzung des Familiennachzuges, sondern um eine Aussetzung der seit dem 1.08.2015 geltenden Rechtslage, die nach dem ursprünglichen Konzept des Gesetzgebers nach ihrem zeitlichen Ablauf automatisch wieder in Kraft treten sollte17.

§ 104 Abs. 13 AufenthG a. F. verstößt nicht gegen höherrangiges Recht. Die Norm ist nicht verfassungswidrig, weil Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen nach dem18 § 22 AufenthG Rechnung getragen werden kann19. Dies gilt insbesondere dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird20. Ein temporärer Ausschluss des Familiennachzuges zu subsidiär Schutzberechtigten nach nationalem Recht verstößt auch weder unmittelbar, noch in Verbindung mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 14 EMRK gegen den nach Art. 8 EMRK gebotenen Schutz der Familie. Den Mitgliedstaaten kommt bei vorübergehenden Einschränkungen der Familienzusammenführung zu subsidiär Schutzberechtigten ein großer Gestaltungsspielraum zu. Dieser wird nicht überschritten, wenn ein Land zur Bewältigung der großen Herausforderungen, die mit dem starken Anstieg der Zahl von Asylbewerbern im Jahr 2015 verbunden waren, den Nachzug für die Dauer von drei Jahren nicht gewährt. Hierin liegt auch keine gegen Art. 14 EMRK verstoßende Diskriminierung. Die Frage, ob sich subsidiär Schutzberechtigte und Personen, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde, in einer vergleichbaren Situation befinden, kann nicht abstrakt oder generell beantwortet werden. Sie ist vielmehr anhand der spezifischen Umstände und insbesondere in Bezug auf das geltend gemachte Recht21 zu beurteilen22.

Unionsrecht steht der Anwendung von § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. nicht entgegen. Die Richtlinie 2003/86/EG regelt den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten nicht. Sie findet nach ihrem Art. 3 Abs. 2 Buchst. c unter anderem dann keine Anwendung, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen genehmigt wurde. Dies erfasst auch Personen, denen der vom Unionsrecht vorgesehene subsidiäre Schutzstatus zukommt23.

23 RL 2011/95/EU trifft ebenfalls keine Regelung des Familiennachzuges aus dem Ausland zu subsidiär Schutzberechtigten, die sich in Deutschland befinden. Der persönliche Anwendungsbereich der Vorschrift ist in diesen Fällen nicht eröffnet. Sie ist nur auf Familienangehörige anzuwenden, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat (Art. 2 Buchst. j RL 2011/95/EU). Entgegen der Auffassung der Revision lässt sich der Richtlinie 2011/95/EU auch kein Gebot der Gleichbehandlung der Angehörigen von anerkannten Flüchtlingen einerseits und von subsidiär Schutzberechtigten andererseits im Hinblick auf den Nachzug aus dem Ausland entnehmen.

Nach § 6 Abs. 3 i. V. m. § 36a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AufenthG kann dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, der als subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 AufenthG besitzt, aus humanitären Gründen ein nationales Visum für die Einreise und den Aufenthalt zum Familiennachzug erteilt werden. Die beispielhafte Aufzählung („insbesondere“) der zwingenden humanitären Gründe für die Zusammenführung in § 36a Abs. 2 Satz 1 AufenthG nennt unter Nr. 1 die Unmöglichkeit der Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft seit langer Zeit und in Nr. 2 die Betroffenheit eines minderjährigen Kindes.

Die sich daraus ergebende Ungleichbehandlung des Familiennachzuges zum anerkannten Flüchtling nach § 32 und § 36 Abs. 1 AufenthG einerseits und zum subsidiär Schutzberechtigten nach § 36a AufenthG andererseits verstößt nicht gegen höherrangiges Recht.

Sie ist insbesondere mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Soweit dieser dem Normgeber gebietet, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln, und dies sowohl für ungleiche Belastungen als auch ungleiche Begünstigungen gilt24, kann offenbleiben, ob anerkannte Flüchtlinge einerseits und subsidiär Schutzberechtigte andererseits im Hinblick auf die nach dem sekundären Unionsrecht bestehenden Unterschiede im Schutzstatus überhaupt vergleichbar sind. Denn eine Ungleichbehandlung wäre jedenfalls sachlich gerechtfertigt. Sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 GG25 als auch des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 14 EMRK26 kommt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit maßgeblich auf die Gewichtung der durch die Ungleichbehandlung beeinträchtigten Freiheitsrechte an. Im Hinblick auf den Familiennachzug von und zu Minderjährigen sind dabei der Familienschutz nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie das Kindeswohl und Kinderrechte zu berücksichtigen.

Weder Art. 6 GG noch Art. 8 EMRK vermitteln einen unmittelbaren Anspruch auf Familienzusammenführung27. Bei Entscheidungen über Aufenthaltsrechte sind die familiären Bindungen angemessen zu berücksichtigen. Erforderlich ist eine Einzelfallbetrachtung, bei der die familiären Bindungen, aber auch sonstige Umstände wie die Trennungsdauer oder die Möglichkeit der Herstellung der Familieneinheit nur im Bundesgebiet, abzuwägen sind28. Berühren aufenthaltsrechtliche Entscheidungen den Umgang mit einem Kind, ist im Rahmen der Abwägung maßgeblich auf die Sicht des Kindes abzustellen und im Einzelfall zu untersuchen, ob tatsächlich eine persönliche Verbundenheit besteht, auf deren Aufrechterhaltung das Kind zu seinem Wohl angewiesen ist. Sind Minderjährige betroffen, sind im Rahmen des dann einschlägigen Art. 3 der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) das Alter der betroffenen Kinder, die Situation in ihrem Herkunftsland und die Abhängigkeit von ihren Eltern bei der Entscheidung in die Abwägung einzustellen. Auch aus einer Zusammenschau des Art. 3 KRK mit Art. 9 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 KRK folgt allerdings kein Anspruch auf einen voraussetzungslosen Kinder- oder Elternnachzug und auch das Kindeswohl hat keinen unbedingten Vorrang29.

Die in § 36a AufenthG vorgesehene Beschränkung des Familiennachzuges auf einen Ermessensanspruch im Rahmen einer Kontingentierung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) genügt den dargestellten verfassungs, konventions- und völkerrechtlichen Anforderungen. Den aufgeführten, in die Einzelfallbetrachtung einzustellenden familiären Belangen kann im Rahmen der Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen nach § 22 Satz 1 AufenthG, der gemäß § 36a Abs. 1 Satz 4 AufenthG unberührt bleibt, ausreichend Rechnung getragen werden. Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 22 Satz 1 AufenthG ist grundsätzlich auch in Fällen möglich, in denen die Voraussetzungen für einen Familiennachzug nicht vorliegen. Denn bei der Frage der Vereinbarkeit einschränkender Familiennachzugsregelungen mit Art. 6 GG ist zu berücksichtigen, inwieweit Härtefällen durch die Erteilung von humanitären Aufenthaltserlaubnissen gemäß § 22 Satz 1 AufenthG Rechnung getragen werden kann, insbesondere auch dann, wenn die besondere Härte durch Umstände in der Person des subsidiär Schutzberechtigten begründet wird. Damit lassen sich mit dem besonderen Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK sowie Art. 7 und 24 GRC nicht zu vereinbarende Familientrennungen in besonderen Einzelfällen über die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus dringenden humanitären Gründen gemäß § 22 AufenthG vermeiden30.

Der Nachzug nach § 36 Abs. 2 AufenthG wegen einer außergewöhnlichen Härte ist auf seltene Ausnahmefälle beschränkt, in denen die Verweigerung des Aufenthaltsrechts und damit der Familieneinheit im Lichte des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG, Art. 8 EMRK grundlegenden Gerechtigkeitsvorstellungen widerspräche, also schlechthin unvertretbar wäre. Eine außergewöhnliche Härte in diesem Sinne setzt grundsätzlich voraus, dass der schutzbedürftige Familienangehörige ein eigenständiges Leben nicht führen kann, sondern auf die Gewährung familiärer Lebenshilfe dringend angewiesen ist, und dass diese Hilfe in zumutbarer Weise nur in Deutschland erbracht werden kann. Ob dies der Fall ist, kann nur unter Berücksichtigung aller im Einzelfall relevanten, auf die Notwendigkeit der Herstellung oder Erhaltung der Familiengemeinschaft bezogenen konkreten Umstände beantwortet werden31

Gemäß § 22 Satz 1 AufenthG soll nach der Intention des Gesetzgebers insbesondere aus dringenden humanitären Gründen über § 36a AufenthG hinaus im Einzelfall auch Angehörigen der Kernfamilie subsidiär Schutzberechtigter eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden können. Solche Gründe sind anzunehmen, wenn die Aufnahme des Familienangehörigen sich aufgrund des Gebots der Menschlichkeit aufdrängt und eine Situation vorliegt, die ein Eingreifen zwingend erforderlich macht. Dies gilt zum Beispiel beim Bestehen einer erheblichen und unausweichlichen Gefahr für Leib und Leben des Familienangehörigen im Ausland. Die dringenden humanitären Gründe im Sinne des § 22 AufenthG können sowohl beim bereits im Bundesgebiet befindlichen Schutzberechtigten als auch beim im Ausland befindlichen Familienangehörigen vorliegen32.

Dringende humanitäre Gründe im Sinne des § 22 Satz 1 Alt. 2 AufenthG liegen zum einen dann vor, wenn sich der Ausländer aufgrund besonderer Umstände in einer auf seine Person bezogenen Sondersituation befindet, sich diese Sondersituation deutlich von der Lage vergleichbarer Ausländer unterscheidet, der Ausländer spezifisch auf die Hilfe der Bundesrepublik Deutschland angewiesen ist oder eine besondere Beziehung des Ausländers zur Bundesrepublik Deutschland besteht und die Umstände so gestaltet sind, dass eine baldige Ausreise und Aufnahme unerlässlich sind. Sie sind aber zum anderen auch dann gegeben, wenn besondere Umstände des Einzelfalles eine Fortdauer der räumlichen Trennung der Angehörigen der Kernfamilie des subsidiär Schutzberechtigten mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG nicht länger vereinbar erscheinen lassen. Der Zeitpunkt, ab dem den Ehegatten und ihren minderjährigen ledigen Kindern eine weitere Trennung nicht länger zuzumuten ist, ist wiederum maßgeblich davon abhängig, ob diesen eine (Wieder-)Herstellung der familiären Lebensgemeinschaft in dem Aufenthaltsstaat der Nachzugswilligen möglich und zumutbar ist. Die Schwelle, bei deren Erreichen die Versagung einer Familienzusammenführung im Bundesgebiet mit Art. 6 Abs. 1 und 2 Satz 1 GG schlechthin unvereinbar ist, aus humanitären Gründen mithin ein – vom Kontingent des § 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG unabhängiger – Aufenthaltstitel nach § 22 Satz 1 AufenthG zu gewähren ist, liegt indes höher als jene, die durch Annahme eines Ausnahmefalles in den Fällen des § 36a Abs. 3 Nr. 1 AufenthG den Zugang zu einer (kontingentgebundenen) Auswahlentscheidung (§ 36a Abs. 2 Satz 2 AufenthG) eröffnet33. Soweit die Berücksichtigung einer familiären Notsituation im Rahmen des § 22 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf eine verfassungskonforme Anwendung von § 104 Abs. 13 AufenthG a. F. und § 36a AufenthG geboten ist, erfordert dies entgegen der Auffassung der Revision keine von den genannten Maßstäben abweichende, insbesondere erweiternde Auslegung. Vielmehr können besondere, aus der Berücksichtigung des Kindeswohls und der familiären Situation im Einzelfall resultierende Umstände als dringende humanitäre Gründe für einen Familiennachzug berücksichtigt werden.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Dezember 2022 – 1 C 8.21

  1. BVerwG, Urteil vom 07.04.2009 – 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329
  2. vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.10.2017 – 2 BvR 1758/17
  3. stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 17.12.2015 – 1 C 31.14, BVerwGE 153, 353 Rn. 9; und vom 21.08.2018 – 1 C 22.17, NVwZ 2019, 417 Rn. 11 m. w. N.
  4. Aufenthaltsgesetz – AufenthG
  5. BGBl. I S.1950
  6. BGBl. I S. 162
  7. BGBl. I S. 2467 <2502>
  8. BGBl. I S. 1798
  9. ABl. L 251 S. 12 – RL 2003/86/EG
  10. ABl. L 337 S. 9 – RL 2011/95/EU
  11. BVerwG, Urteil vom 07.04.2009 – 1 C 17.08, BVerwGE 133, 329 Rn. 10 und Beschluss vom 23.04.2020 – 1 C 16.19, Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- und Asylrecht Nr. 113 Rn. 9
  12. BGBl. I S. 390
  13. BGBl. I S. 3474
  14. BGBl. I S. 1386
  15. vgl. BT-Drs. 18/4097 S. 46
  16. BGBl. I S. 342
  17. vgl. BT-Drs. 18/7538 S. 12 und 20
  18. gemäß § 104 Abs. 13 Satz 3 AufenthG a. F. unberührt bleibenden
  19. vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 11.10.2017 – 2 BvR 1758/17, NVwZ 2017, 1699 Rn. 12
  20. BVerwG, Urteil vom 17.12.2020 – 1 C 30.19, BVerwGE 171, 103 Rn. 23
  21. auf Familienzusammenführung
  22. EGMR, Urteil vom 20.10.2022 – Nr. 22105/18, M. T. and others v. Sweden, Rn. 95 ff.; zum Erfordernis der Möglichkeit einer Einzelfallprüfung vgl. EGMR , Urteil vom 09.07.2021 – Nr. 6697/18, M. A. v. Denmark, Rn.192
  23. vgl. EuGH, Urteil vom 07.11.2018 – C-380/17 [ECLI:​EU:​C:​2018:​877], Rn. 27 ff.
  24. BVerfG, Beschluss vom 11.10.1988 – 1 BvR 777/85 u. a., BVerfGE 79, 1 <17>
  25. BVerfG, Beschlüsse vom 15.12.1959 – 1 BvL 10/55, BVerfGE 10, 234 <246> und vom 03.10.1989 – 1 BvL 78/86 u. a., BVerfGE 81, 1 <8> vgl. auch Nußberger, in: Sachs, Grundgesetz, 9. Aufl.2021, Art. 3 Rn. 14 ff.
  26. EGMR , Urteil vom 24.05.2016 – Nr. 38590/10, Biao v. Denmark, Rn. 90
  27. BVerfG, Beschluss vom 18.07.1979 – 1 BvR 650/77, BVerfGE 51, 386 <395> EGMR , Urteil vom 03.10.2014 – Nr. 12738/10, Jeunesse v. the Netherlands, Rn. 107
  28. vgl. EGMR , Urteil vom 03.10.2014 – Nr. 12738/10, Rn. 106; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 10.05.2008 – 2 BvR 588/08 – InfAuslR 2008, 347 <348> vom 05.06.2013 – 2 BvR 586/13, NVwZ 2013, 1207 <1208> und vom 09.12.2021 – 2 BvR 1333/21, NVwZ 2022, 406 Rn. 45
  29. vgl. BVerwG, Urteil vom 13.06.2013 – 10 C 16.12, NVwZ 2013, 1493 Rn. 24
  30. BVerwG, Beschluss vom 04.07.2019 – 1 B 26.19, Buchholz 402.242 § 36 AufenthG Nr. 6 Rn. 13 unter Hinweis u. a. auf BVerfG, Beschluss vom 20.03.2018 – 2 BvR 1266/17 – Asylmagazin 2018, 179 und BT-Drs.19/2438 S. 22
  31. BVerwG, Urteil vom 30.07.2013 – 1 C 15.12, BVerwGE 147, 278 Rn. 11 f.
  32. BT-Drs.19/2438 S. 22
  33. BVerwG, Urteil vom 17.12.2020 – 1 C 30.19, BVerwGE 171, 103 Rn. 49