Der palästinensiche ipso facto-Flüchtling
Einem Staatenlosen palästinensischer Herkunft wird im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG Schutz oder Beistand im Sinne des § 3 Abs. 3 Satz 1 AsylG nicht länger gewährt, wenn sich auf der Grundlage einer individuellen Beurteilung aller maßgeblichen Umstände herausstellt, dass er sich in einer sehr unsicheren persönlichen Lage befindet und es dem UNRWA, um dessen Beistand er ersucht hat, unmöglich ist, ihm Lebensverhältnisse zu gewährleisten, die mit der Aufgabe des UNRWA im Einklang stehen, so dass er sich aufgrund von Umständen, die von seinem Willen unabhängig sind, dazu gezwungen sieht, das Einsatzgebiet des UNRWA zu verlassen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob das Verlassen des Einsatzgebiets des UNRWA unfreiwillig erfolgt ist, ist in räumlicher Hinsicht auf das gesamte – die fünf Operationsgebiete Gazastreifen, Westjordanland (einschließlich Ost-Jerusalem), Jordanien, Libanon und Syrien umfassende – Einsatzgebiet des UNRWA abzustellen.
Einem freiwilligen Verzicht auf den von dem UNRWA gewährten Beistand kommt die Entscheidung eines Staatenlosen palästinensischer Herkunft gleich, ein Operationsgebiet des UNRWA, in dem er sich nicht in einer sehr unsicheren Lage befindet und in dem er den Schutz oder Beistand des Hilfswerks in Anspruch nehmen könnte, zu verlassen, um sich in ein anderes Operationsgebiet des Einsatzgebiets zu begeben, in dem er auf der Grundlage konkreter Informationen, über die er hinsichtlich dieses Operationsgebiets verfügt, vernünftigerweise weder damit rechnen kann, durch das UNRWA Schutz oder Beistand zu erfahren, noch in absehbarer Zeit in das Operationsgebiet, aus dem er ausgereist ist, zurückkehren zu können.
Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft auf der Grundlage von § 3 Abs. 3 Satz 2 AsylG setzt – jedenfalls nach nationalem Asylverfahrensrecht – voraus, dass es dem Betroffenen auch noch im Zeitpunkt der Entscheidung nicht möglich oder zumutbar ist, sich dem Schutz oder Beistand des UNRWA durch Rückkehr in eines der fünf Operationsgebiete des Einsatzgebiets dieser Organisation erneut zu unterstellen.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. April 2021 – 1 C 2.21